Für diese Folgen haben wir mit Planke von der Antiverschwurbelten Aktion und Karl von Entnazifizierung jetzt! über Verschwörungsideologien gesprochen. Das Thema ist auch bereits in allen vorherigen Folgen aufgetaucht. Ob wir über die extreme Rechte, über Rassismus oder die Attentate in Halle und Hanau gesprochen haben, Verschwörungsideologien und fake news sind zentral für viele menschenfeindliche Bewegungen, Ideologien und Taten. Auch in den kommenden Folgen zu Antifeminismus und Queerfeindlichkeit werden Verschwörungsideologien eine Rolle spielen.
Eine Verschwörungserzählung ist die Überzeugung, dass ein Ereignis anders ist, als wir denken oder in der Öffentlichkeit besprochen wird, und dass es eine Verschwörung mächtiger Akteur*innen gibt, die versuchen das zu verheimlichen. Die meisten Verschwörungserzählungen sind antisemitisch, weil in den Erzählungen diese erfundene mächtige Elite als jüdisch imaginiert wird. Die Vorstellungen können sich auf ein Ereignis beziehen, wie die Mondlandung oder den 11. September 2001. Häufig ist es jedoch so, dass Menschen eine Verschwörungsideologie entwickeln, um sie zur Erklärung verschiedener Ereignisse heranzuziehen. Verschwörungserzählungen kann man daran erkennen, dass sie sich nicht auf seriöse Quellen beziehen, Quellen falsch einordnen, nicht auf Erkenntnisgewinn, sondern auf die Bestätigung des eigenen Weltbildes abzielen und Verschwörungsgläubige keine Gegenargumente akzeptieren, sondern Personen, die andere Überzeugungen haben, als Teil der Verschwörung bezeichnen (z. B. als „Schlafschafe“). Ein wesentliches Merkmal von Verschwörungserzählungen ist, dass sie einfache Erklärungen liefern und die Welt in gut und böse einteilen. Gesellschaftliche Krisen, wie beispielsweise die Corona-Pandemie oder der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, verstärken die Verbreitung von Verschwörungserzählungen, da es in diesen Krisen häufig ein besonders großes Bedürfnis nach einfachen Erklärungen und der Einteilung in gut und böse gibt. Die sozialen Medien haben auch dazu beigetragen, dass sich Verschwörungserzählungen schneller und einfacher verbreiten. Vielen Menschen fehlt das Wissen darüber, wie sie seriöse, gut recherchierte und ausgewogene Nachrichten von falschen Nachrichten unterscheiden können.
Ein Beispiel für eine extrem rechte Verschwörungserzählung, die verheerende Folgen hatte und hat, ist die Idee vom „großen Austausch“. Karl hat uns erzählt, dass eine aktuelle repräsentative Studie (das heißt mit genügend Befragten) belegt, dass 25% der Deutschen an den „großen Austausch“ glauben. Die Verschwörungserzählung behauptet, dass es eine Gruppe von mächtigen Personen gäbe, die daran arbeiten würde, das „deutsche Volk“ auszutauschen, das heißt durch Menschen aus anderen nicht-europäischen Ländern zu ersetzen. Planke hat ergänzt, dass die Verschwörungserzählung vom „großen Austausch“ auch international für rechtsterroristische Anschläge eine enorme Rolle gespielt hat. Beispielsweise in Christchurch (Neuseeland), wo am 15. März 2019 ein Rechtsterrorist 51 Menschen in zwei Moscheen ermordete, oder in El Paso (USA), wo am 3. August 2019 ein Rechtsterrorist 22 Menschen in einem Supermarkt erschoss, oder in Buffalo (USA) wo am 14. Mai 2022 ein Rassist 10 Afroamerikaner*innen in einem Supermarkt tötete. Auch die extrem rechte Regierung in Italien bedient das Narrativ vom großen Austausch, was zeigt, dass extrem rechte Verschwörungserzählungen auch ihren Weg in demokratische Institutionen finden.
Gemeinsam haben wir zurückgeschaut auf Entwicklungen und Zuspitzungen. In den letzten Jahren sind viele Gruppen aufgeflogen, die sich, von Verschwörungsideologien wie dem „großen Austausch“ oder einer vermeintlichen „Corona- bzw. Klima-Diktatur“ angetrieben, auf einen Tag X vorbereitet haben, an dem sie die Macht übernehmen wollten. In vielen dieser Gruppen waren auch Mitarbeiter*innen von Sicherheitsbehörden aktiv. Ein Beispiel ist das Hannibal-Netzwerk. Das war eine Gruppe, die nach eigenen Angaben um die 400 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz hatte und von einem Bundeswehr-Unteroffizier angeführt wurde. Am Tag X, so planten sie, wollten sie politische Gegner*innen mit Militär-LKWs abholen. Dafür hatte man schon Listen erstellt und Leichensäcke bestellt.
Während der Corona-Pandemie hatten Verschwörungserzählungen eine Art Hochkonjunktur. Die rechte Bewegung Querdenken, die sich aus vielen kleinen Demonstrationen und Gruppen heraus entwickelte, arbeitete viel mit Verschwörungserzählungen. Auch jetzt, nach der Pandemie, sind die Mitglieder noch aktiv und wenden sich neuen Themen zu, wie dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine oder der Klima-Krise.
Wir haben auch wieder nach vorne geblickt und uns gefragt, was wir in den letzten Jahren gelernt haben und was wir tun können. Wichtig ist es, aufzuzeigen, wer sich an verschwörungsideologischen Protesten und Gruppen beteiligt und was passiert. Oftmals ist es so, dass die Ideologie am Anfang steht, beispielsweise ein rassistisches oder ein antisemitisches Weltbild, welches dann die Grundlage bildet, auf der sich eine Verschwörungsideologie ausbildet, die entsprechend antisemitisch oder rassistisch codiert ist. Zentral ist es, diese menschenfeindlichen Einstellungen aufzuzeigen und deutlich zu machen, mit wem man sich verbündet, wenn man Verschwörungserzählungen reproduziert.
Entnazifizierung jetzt! recherchiert, sammelt und dokumentiert Fälle und kann so zeigen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern um Netzwerke. Die Antiverschwurbelte Aktion organisiert stabil Gegenproteste gegen verschwörungsideologische Versammlungen und Demonstrationen. Manchmal hilft auch ein bisschen Spaß. Die Antiverschwurbelte Aktion tritt in Anlehnung an eine Verschwörungserzählung über Reptiloide häufig in Dino-Kostümen auf. Beide Gruppen schaffen so Aufmerksamkeit für das Thema und klären auf. Informiert euch und haltet mit Fakten dagegen, wenn Personen euch von vermeintlichen Verschwörungen erzählen.
Leider bleiben Verschwörungsideologien aktuell, da sich Verschwörungsgläubige neue Themen suchen. Planke und Karl rechnen damit, dass unter anderem die Klima-Krise ein Thema ist, mit dem sich Verschwörungsgläubige in Zukunft beschäftigen werden.
Falls ihr selbstbetroffen seid oder Leute kennt, die an Verschwörungserzählungen glauben, sucht euch Hilfe. Die Beratungsstelle Entschwört unterstützt Personen, aus deren persönlichen Umfeld ein Mensch an Verschwörungserzählungen glaubt. Hier gibt es auch ein Video, das erklärt was die Beratungsstelle macht. Hier findet ihr die Übersicht der Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus.
Karl verweist auch noch auf wichtige Projekte, die sich mit Rassismus in den Sicherheitsbehörden beschäftigen: Wrangelkiez united, KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt und die Kampagne „Go film the police“. Dazu könnt ihr auch unsere Folge “Rassismus in den Sicherheitsbehörden” anhören, für die wir mit Fabienne von KOP und Vivian von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland gesprochen haben. → https://blick-zurueck-nach-vorne.de/podcast/rassismus-in-den-sicherheitsbehoerden/
Projekte
- Hier geht es zur Homepage von Entnazifizierung jetzt! und hier zum twitte/X account.
- Die Broschüre Fünfundfünfzigtausend Schuss. Nazis und rechte Netzwerke in den deutschen Sicherheitsbehörden von „Entnazifizierung jetzt“ findet ihr hier.
- Hier geht es zu den Social Media Accounts von der Antiverschwurbelten Aktion: Instagram, Facebook & youtube.
Verweise
- Hier findet ihr die Studie der Friedrich Ebert-Stiftung. Die 25% Zustimmung zur Verschwörungserzählung des „großen Austausch“ ergeben sich aus der Abbildung 43 auf Seite 54.
- Eine Broschüre über Ursachen, Funktionen und Gefahren von Verschwörungsideologien und die Verbindung zur Geschichte des Antisemitismus findet ihr hier.
- Als Schlafschaf bezeichnen Verschwörungsgläubige solche Menschen, die die Verschwörung nicht durchschaut haben. Die Bezeichnung beinhaltet selbst zu den Wissenden zu gehören, während die Schlafschafe unwissend seien und sich belügen lassen würden.
- Hier könnt ihr einen Artikel zum rechtsterroristischen Attentat in Cristchurch lesen. Das Attentat diente als Vorbild für den Anschlag in Halle, bei dem ein Rechtsterrorist Jana L. und Kevin Schwarze ermordete und versuchte, über 50 Menschen in einer Synagoge zu ermorden. Unsere Folge zum Attentat in Halle könnt ihr hier hören.
- Über das rechtsterroristische Attentat in El Paso könnt ihr hier mehr erfahren.
- Hier könnt ihr einen Radiobeitrag zum rechtsterroristischen Attentat in Buffalo hören.
- Das Hannibal-Netzwerk war eine Art Schatten-Armee unter der Leitung eines Bundeswehr-Unteroffiziers mit vielen Untergruppen und mehreren hundert Mitgliedern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Zusammenhänge sind sehr komplex. Eine guten Überblick gibt die Homepage von Entnazifizierung jetzt!
- Nordkreuz war eine Gruppe innerhalb des Hannibal-Netzwerkes von ca. 40 bis zeitweise 54 Rechtsterroristen, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiteten und die Ermordung politischer Gegner*innen plante. Wenn ihr dazu mehr erfahren wollt, schaut auf die Seite von Entnazifizierung jetzt!
- Hier findet ihr ein Heft zum Thema Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie.
- Hans-Georg Maaßen war Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und fällt immer wieder durch extrem rechte und verschwörungsideologische Aussagen auf. Trotzdem wurde er Anfang 2023 zum Vorsitzenden der Werteunion gewählt, einem christlich-fundamentalistischen, rechtskonservativen Verein, mit vielen Bezügen zu CDU und CSU.
- Die Verschwörungsideologie von den Reptoloiden behauptet, es gäbe eine mächtige Gruppe, die aussähen wie Menschen, in Wirklichkeit aber Reptilien seien, und über die Menschen herrschen würden. Hier könnt ihr euch Videos der Antiverschwurbelten Aktion anschauen, in denen sie die Verschwörungserzählung aufnehmen und ironisch damit ihren Protest gestalten.
- Reichsbürger sind Personen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimer und souveräner Staat bestreiten. Hier findet ihr mehr Informationen zur Reichsbürgerbewegung.
- Wenn ihr mehr über den Neonazi Sven Liebig wissen wollt, könnt ihr diesen Podcast anhören.