Perspektiven auf und gegen Rechts. Ein Podcast

Rassismus in den Sicherheitsbehörden

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Für diese Folge haben wir mit Fabienne von KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt und Vivian von ISD – Initiative Schwarze Menschen in Deutschland über Rassismus und deutsche Sicherheitsbehörden gesprochen.

Wir erfahren immer wieder von der rassistischen Kriminalisierung von Betroffenen rechten Terrors, von fehlender Aufklärung rechter Anschläge, von der Verwicklung von Beamt*innen in rechte Netzwerke und Chatgruppen oder von rassistischen Polizeikontrollen mit hartem Gewalteinsatz. Ein solcher Fall hat die Black Lives Matter-Bewegung aus den USA weltweit bekannt gemacht. Im Mai 2020 tötete ein weißer Polizeibeamter den am Boden liegenden 46-jährigen Afroamerikaner George Perry Floyd. Auch in Deutschland kommen immer wieder und vor allem rassistisch diskriminierte Menschen bei Kontrollen oder in Polizeigewahrsam zu Schaden – oder sogar zu Tode. Bekannte Beispiele sind: Der Tod von Oury Jalloh, der 2005 in Dessau in einer Gewahrsamszelle starb; Der Tod des 16-Jährigen Mouhamed Dramé, der in Dortmund von Polizisten erschossen wurde, oder Ferhat Mayouf, der in der Justizvollzugsanstalt Moabit starb.

Zuerst haben wir ein Blick zurück geworfen auf Entwicklungen und Zuspitzungen. Vivian betont, dass es massive Ausweitungen von Befugnissen, Einsatzfeldern und Aufgaben von Sicherheitsbehörden gibt. Die Polizei wird beispielsweise in sehr vielen Fällen hinzugezogen, wenn es um häusliche Gewalt geht, wenn sich wohnungslose Menschen irgendwo aufhalten oder Häuser besetzt werden. Vivian fragt, ob das wirklich Aufgaben sind, die die Polizei lösen sollte und erklärt, dass es in vielen Fällen eher soziale Lösungen braucht. Sozialarbeiter*innen, psychologisches und pädagogisches Fachpersonal können bedürfnisorientiert mit den Betroffenen nach Alternativen suchen. Die Polizei ist für solche Aufgaben nicht ausgebildet und verschlimmert die Situation meist mit Gewalt gegenüber Menschen, die von Diskriminierung und gesellschaftlichen Ausschlüssen betroffen sind.

Fabienne geht darauf ein, dass der NSU-Komplex gezeigt hat, wie rassistisch die Sicherheitsbehörden in Deutschland arbeiten. Beispielsweise wurden die Angehörigen, Freund*innen, Nachbar*innen und die Opfer selbst von den Sicherheitsbehörden auf rassistische Weise kriminalisiert. Die Aufmerksamkeit für Rassismus in den Sicherheitsbehörden und Polizei-Gewalt ist teilweise da, aber hält häufig nicht lange an und es fehlt am Willen, wirklich etwas zu ändern. Beide sind der Ansicht, dass Diversität in Sicherheitsbehörden nicht die Lösung für rassistische Polizeigewalt ist. Statistiken zeigen, dass Polizeigewalt nicht weniger wird, weil beispielsweise mehr Schwarze oder weibliche Personen bei der Polizei arbeiten.

Vivian erklärt uns, dass Polizei und Kapitalismus zusammenhängen. Denn häufig geht es bei Einsätzen darum, den Status Quo zu erhalten und Eigentumsverhältnisse zu beschützen. Ein Beispiel: In Berlin ist Wohnraum sehr teuer, viele Menschen haben Probleme, so viel Geld aufzubringen und müssen auf der Straße leben. Wohnungslose Menschen und Aktivist*innen besetzen ein leerstehendes Haus, um diesen Menschen eine würdige Unterbringung zu ermöglichen. Häufig gehören Immobilien Firmen, die sehr viel Wohnraum besitzen. Sie lassen einzelne Wohnungen leerstehen, weil sich das positiv auf die Miete der anderen auswirkt. In einem solchen Fall würde die Polizei beauftragt werden, das Haus zu räumen. Häufig mit Gewalt. Frage: Ist das die einzige Möglichkeit oder könnte eine Gesellschaft nicht auch anders mit diesem Konflikt umgehen?

Wir haben aber auch nach vorne geschaut. Es gibt bereits viele wichtige Kampagnen, die Wissen weitergeben und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Eine wichtige Kampagne, an der unter anderem KOP und ISD gemeinsam arbeiten, ist „Go Film The Police“. Die Kampagne klärt darüber auf, was du beim Filmen von Polizeieinsätzen beachten musst und fordert auf, dies zu tun, um die Brutalität der Polizei als organisierte Gewalt sichtbar zu machen. Es braucht Beweise für Polizeigewalt, weil vor Gericht häufig den Polizist*innen mehr geglaubt wird, als den Betroffenen von rassistischer Polizeigewalt. Eine weitere Kampagne ist „Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen“. Sie fordert die Berliner Regierung auf, racial profiling per Gesetz zu verbieten, stellt die Frage, was wir unter Sicherheit verstehen, macht darauf aufmerksam, dass Orte für unterschiedliche Menschen, unterschiedlich sicher sind und fordert sog. „gefährliche“ oder „kriminalitätsbehaftete“ Orte abzuschaffen. „Death in Custody“ wurde als Reaktion auf die vielen ungeklärten Todesfälle Schwarzer Menschen und People of Color in Gewahrsam gegründet, informiert über diese und macht Erinnerungsarbeit.

Bei der Frage, was wir tun können, sind wir nochmal auf das Thema „Polizei anrufen“ gekommen. Fabienne fordert uns dazu auf, unser Verständnis von Sicherheit zu überprüfen und zu fragen, wann welche Orte für wen als sicher bezeichnet werden. Daran hängt auch die Frage, ob wir immer die Polizei rufen müssen. Es gibt soziale Einrichtungen, die man auch anrufen kann. Wichtig ist es außerdem, stehen zu bleiben, wenn man Polizei-Gewalt sieht. Es kommt nicht darauf an, was die Person vorher gemacht hat. Jeder Mensch hat das Recht darauf, keine Gewalt zu erleben.

Zuletzt nennen die beiden noch wichtige Beratungsstellen und Gruppen: ReachOut ist eine Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und Bedrohung in Berlin. ReachOut berät auch Opfer von Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt. Each One Teach One hat eine Anti-Diskriminierungsberatung und bietet Beratung für Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen in Berlin in allen Fällen von Diskriminierung. LesMigras bietet Beratung für Lesben, bisexuelle Frauen, trans*, inter*, nicht-binäre und queere Menschen an. Women in Exile und International Woman Space sind Organisationen von und für geflüchtete Frauen.

Projekte

Verweise

  • Die Broschüre Fünfundfünfzigtausend Schuss. Nazis und rechte Netzwerke in den deutschen Sicherheitsbehörden von „Entnazifizierung jetzt“ findet ihr hier.
  • Mehr über den Tod von Oury Jalloh könnt ihr hier bei der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh nachlesen.
  • Hier geht es zur Homepage des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, auf der ihr mehr über den Mord an Mouhamed Dramé und Aktionen des Solidaritätskreises erfahren könnt.
  • Bei der Kampagne „Death in Custody“ könnt ihr mehr über Ferhat Mayouf erfahren:
  • Kupa Ilunga Medard Mutombo starb drei Wochen nach einem Polizeieinsatz in einer Einrichtung für Menschen mit psychischen Problemen. Grund für die Anwesenheit der Polizei war alleine seine Verlegung in eine andere Einrichtung. Hier könnt ihr einen Aufruf zu einer Kundgebung lesen, die an ihn erinnern sollte.
  • Cilip ist ein Institut und eine Zeitschrift. Seit 1978 veröffentlicht Cilip Berichte, Analysen und Nachrichten zu den Themen Polizei, Geheimdienste, Politik „Innerer Sicherheit“ und BürgerInnenrechte. Hier erfahrt ihr mehr.
  • Hier findet ihr das Buch „Was macht uns wirklich sicher? Ein Toolkit zu intersektionaler transformativer Gerechtigkeit jenseits von Gefängnis und Polizei“.
  • Hier ist ein spannender Artikel zur Rolle der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex.
  • Immer wieder wird bekannt, dass sich Mitarbeiter*innen von Sicherheitsbehörden in Chats rechte Inhalte schicken. Darunter sind unter anderem verbotene nationalsozialistische Zeichen und rassistische, antisemitische und misogyne Abbildungen. Hier gibt es eine Doppelfolge des ZDF Magazin Royale vom 29. September 2023, die sich mit dem Thema beschäftigt hat.
  • Nordkreuz war eine Gruppe von ca. 40 bis zeitweise 54 Rechtsterroristen, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiten und die Ermordung politischer Gegner*innen plante. Hier könnt ihr mehr erfahren.
  • Das Buch „Die Diversität der Ausbeutung“ von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo findet ihr hier. Ein Interview mit einer der Herausgeber*innen könnt ihr euch hier anhören.
  • Das Kapitel, das Vivian im Gespräch erwähnt, ist von Lea Pilone und heißt „Polizei und Rassismus in Deutschland. Eine historische Genese“. Es gibt auch ein Video von einem Interview mit den Herausgeber*innen.
  • Das Buch „Ohne Polizei/Gewalt. Kritische Theorie & Praxis sozialer Gerechtigkeit“ von Alissa Starodub findet ihr hier.
  • Mehr zur Kampagne „Ban! Racial Profiling. Gefährliche Orte abschaffen“ findet ihr hier bei KOP.
  • Hier erfahrt mehr zur Kampagne „Death in Custody“.
  • Women in Exile ist eine Initiative von geflüchteten Frauen, die sich 2002 in Brandenburg zusammen gefunden haben. Ihr Buch „Breaking Bridges. 20 Years of Women in Exile“ findet ihr hier.
  • International Women* Space (IW*S) ist eine feministische und antirassistische Gruppe in Berlin, die sich aus geflüchteten Frauen*, Migrantinnen* und nicht-migrantischen Frauen* zusammensetzt. Ihr Buch „We exist, we are here/Wir existieren. Wir sind hier.“ könnt ihr hier bestellen. „In our own words./In unseren eigenen Worten“ gibt es hier.
  • COP-Watch ist ein Netzwerk, bestehend aus vielen Gruppen in verschiedenen Ländern und Städten, die es sich zu Aufgabe gemacht haben, die Polizei zu beobachten und Polizei-Gewalt dokumentieren. Es gibt sie zum unter anderem in Hamburg, Leipzig und Frankfurt.