Perspektiven auf und gegen Rechts. Ein Podcast

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Die extreme Rechte

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Für die erste Folge haben wir mit Caro, Sebastian und Kati über die extreme Rechte geredet. Caro und Sebastian arbeiten bei NSU Watch, Kati bei den Berliner Registern.

Der Begriff „Extreme Rechte“ bezeichnet verschiedene Bewegungen, Gruppen und Akteur*innen, die antisemitische, rassistische, nationalistische, antifeministische, sozialchauvinistische und/oder ableistische Positionen vertreten. Mit dem Begriff lassen sich unterschiedliche rechte Milieus erfassen, unter anderem die sogenannte „Neue Rechte“, bestehend aus beispielsweise Identitärer Bewegung (IB), oder Parteien, wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)/Die Heimat, die Alternative für Deutschland (AfD) oder Dritter Weg, und neonazistische Gruppen (z.B. Kameradschaften). Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie von einer Ungleichheit der Menschen ausgehen, also behaupten, manche Menschen wären wertvoller als andere. Das führt dazu, dass sie die Diskriminierung und Unterdrückung von Menschen befürworten und Gewalt gegen diese ausführen oder legitim finden. Extrem-rechte Akteur*innen organisieren Demonstrationen und Veranstaltungen, veröffentlichen Bücher und Magazine, sind im Netz unterwegs und vieles mehr.

Gemeinsam mit Kati, Sebastian und Caro haben wir einen Blick zurückgeworfen auf Kontinuitäten rechter Gewalt. Einen Schwerpunkt haben wir auf den NSU-Komplex gelegt. Der Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) hat von 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet. Neun davon aus rassistischen Motiven. Die Namen der Ermordeten sind:

Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.

Zudem hat der NSU mindestens 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle begangen. Zur Geschichte des NSU gehört auch ein immenses Ausmaß an Verwicklungen und Versagen der Sicherheitsbehörden. Statt aufzuklären haben die Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste die Angehörigen der Ermordeten über viele Jahre hinweg aus rassistischen Gründen kriminalisiert und schikaniert.

Außerdem haben wir uns noch auf den Neukölln-Komplex konzentriert. Als Neukölln-Komplex wird eine Terrorserie im Berliner Stadtteil Neukölln bezeichnet, bei der Neonazis seit 2009 wenigstens 200 Anschläge verübten. Dazu zählen wir die Morde an Burak Bektaş und Luke Holland, etliche Brandstiftungen und (Mord-)Drohungen, sowie zahlreiche gesprühte nationalsozialistische Symbole und Neonazi-Sticker. Trotz klarer Hinweise auf bekannte Neonazis aus Neukölln und ihre Netzwerke erfolgte so gut wie keine Aufklärung. Bekannt wurde, wie auch schon beim NSU-Komplex, vielfältiges Fehlverhalten von Mitarbeiter*innen der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden.

Wir haben auch darüber gesprochen, was wir gelernt haben und was sich zwischen dem NSU-Komplex und dem Neukölln-Komplex getan hat. Nach der Selbstenttarnung des NSU waren viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen schockiert davon, dass sie nicht auf die Angehörigen der Opfer gehört hatten, die schon lange darauf hinwiesen, dass es sich um eine rassistische Mordserie handeln müsse. So wurde die Forderung lauter, die Perspektive von Betroffenen des rechten Terrors in den Mittelpunkt zu stellen. Durch die enormen Verfehlungen von Polizei und Verfassungsschutz wurde viel über Rassismus in den Sicherheitsbehörden bekannt und so im Nachgang der Erkenntnisse unter anderem gefordert, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Dennoch standen die Namen der Ermordeten und die Familien und ihre Erfahrungen meist nicht im Vordergrund. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Betroffene, Angehörige und Aktivist*innen haben dafür gekämpft, selber bestimmen zu können, wie erinnert und gemahnt wird. Zuletzt haben wir noch darüber gesprochen, dass die drei in wichtigen Projekten arbeiten und rechte Vorfälle dokumentieren, Prozesse und Untersuchungsausschüsse beobachten, dort mitschreiben und so Öffentlichkeit schaffen. Caro, Kati und Sebastian betonen, dass man sich nicht lähmen lassen darf, dass es wichtig ist, aktiv zu werden, gemeinsame Nenner zu finden und sich in solidarischen Netzwerken zu engagieren.

Projekte

Verweise

  • In Sollingen starben am 30. Mai 1993 Gürsün İnce (27), Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4) bei einem Brandanschlag. 14 weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen. Hier findet ihr mehr Informationen.
  • Einen Dokumentarfilm, der sich mit den Anschlag in Solingen beschäftigt, finde ihr hier.
  • In Mölln wurden am 23. November 1992 Ayşe Yılmaz, Yeliz und Bahide Arslan bei einem rassistischen Brandanschlag ermordet. Seit vielen Jahren setzt sich der „Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992“ dafür ein, dass an den Anschlag erinnert wird. Der Freundeskreis hat den politischen Diskurs um Erinnerung an rechte Gewalt stark geprägt. Hier könnt ihr mehr über sie erfahren.
  • NSU/Selbstenttarnung: Mit dem Begriff Selbstenttarnung wird betont, dass der NSU nicht von den Sicherheitsbehörden gestellt wurde, sondern selber in die Öffentlichkeit getreten ist.
  • 2015 kamen viele Geflüchtete nach Europa, unter anderem wegen dem Bürgerkrieg in Syrien. Viele (extrem-)rechte Akteur*innen hetzten gegen die hilfesuchenden Menschen, organisierten Proteste und riefen zu Gewalt auf. Auch in vielen Medien wurde in rassistischer Weise berichtet. Dass für antirassistische Aktivist*innen 2015 auch ein Jahr der Solidarität war, könnt ihr in dem Buch „Unentbehrlich. Solidarität mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ von Harpreet Kaur Cholia und Christin Jänicke nachlesen.
  • Als Oktoberfestattentat wird eine rechtsterroristischer Anschlag bezeichnet, der 26. September 1980 von dem Neonazi Gundolf Köhler begangen wurde. Bei dem Anschlag wurden 13 Menschen getötet und 221 verletzt, 68 davon schwer.
  • Mit „Nein zum Heim“-Kampagne wird eine Kampagne aus dem Umfeld der NPD bezeichnet, bei der gegen Geflüchtete gehetzt wurde.
  • Ibrahim Aslan ist Überlebender des Anschlags in Mölln 1992. Bei dem Anschlag verlor er seine Großmutter, seine Schwester und seine Cousine. Seit vielen Jahres macht er antirassistische Bildungsarbeit und setzt sich für ein angemessenes Gedenken und den Kampf gegen rechte Gewalt ein.
  • NSU-Watch begleitet viele Untersuchungsausschüsse kritisch und dokumentiert sowie bewertet die dort stattfindende Arbeit.
  • Initiative „BASTA – wir haben genug! Britzer Bürger*innen fordern Aufklärung rechter Straftaten“ organisiert jeden Donnerstag Morgen eine Mahnwache vor den Berliner Landes Kriminalamt am Tempelhofer Damm. Hier könnt ihr die Folge mit Basta unsere Audioserie zum Neukölln-Komplex hören.